Das Original der Abschrift der Suiten für Violoncello von Anna Magdalena Bach

AMB Notizen zur Originalabschrift S 1 -

 Michael Bach, Notizen vom 19.09.2013 zur ersten Seite der Abschrift

 

Germany

Nach zweieinhalb Jahren intensiver Arbeit an der Analyse der Abschrift von Anna Magdalena Bach (AMB) konnte ich am 19. September 2013 das Original im Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin eingehend studieren.

Gedankt sei hierfür dem Stellv. Leiter der Musikabteilung Herrn Dr. Roland Schmidt-Hensel.

Ziel und Zweck meiner Untersuchung war es herauszufinden, ob es Korrekturen und Spuren im Original gibt, die in den hochauflösenden Scans von „Bach Digital” nicht mit letzter Sicherheit zu verifizieren sind. Zuweilen sind in den Scans dunklere Fasern im Papier von dünnen Federstrichen kaum unterscheidbar. Zu examinieren war außerdem, ob es überschriebene Bindebögen gibt. Es galt auch festzustellen, ob die Abschrift in erkennbar mehreren Etappen erstellt wurde und ob es Eintragungen von anderer Hand gibt.

Die Größe des Papierformats und der Schrift garantieren eine mühelose Lesbarkeit. Die Tinte ist generell stark deckend und tiefschwarz. Das chamoisfarbene Hadernpapier ist relativ dick und steif und verbreitet einen angenehmen natürlichen Duft. Das Original macht infolge seiner Festigkeit und intensiven Farbigkeit den Eindruck eines dreidimensionalen Objekts und ist als Ganzes in einem sehr gutem Erhaltungszustand.

Das Original der Abschrift wird in losen, in ihrer Mitte gefalteten Doppelblättern, die auf Vorder- und Rückseite beschrieben sind, aufbewahrt. Die Fadenbindung wurde aufgelöst. Infolgedessen gliedert es sich in drei Lagen:

Die 1. Lage enthält drei Doppelblätter: Auf dem ersten Doppelblatt findet sich auf der Außenseite rechts die Titelseite und links der 2. Teil des Préludes in C-dur. Auf der Innenseite findet sich links das Prélude in G-dur, Teil 1 und rechts der 1. Teil des Préludes in C-dur. Die anderen beiden Doppelblätter sind gleichermaßen angelegt und enthalten die übrigen Sätze der Suiten in G-dur und in d-moll.

Die 2. Lage enthält ebenfalls drei Doppelblätter mit den Sätzen der Suite in C-dur ab der Allemande, allen Sätzen der Suite in Es-dur und dem Anfang des Prélude in c-moll.

Die 3. Lage enthält diesmal vier Doppelblätter mit den restlichen Sätzen der Suiten in c-moll und in D-dur sowie drei Leerseiten.

Daraus schließe ich, daß die gesamte Abschrift als Einheit konzipiert ist. Sie hat einen konsistenten, durchgehend gleichen Schreibduktus. Eine Unterbrechung der Kopierarbeit ist nicht erkennbar. Die auffällige Satzbezeichnung „Präludium” zu Beginn der Suite in Es-dur deutet nicht auf einen anderen Schreiber oder auf eine größere Pause während der Kopierarbeit hin. Es scheint indessen eher so zu sein, daß die Satzbezeichnung von AMB zunächst versehentlich nicht angebracht und von ihr später aus Platzmangel über der ersten Notenzeile hinzugefügt wurde. Diese nachträgliche Korrektur erklärt vielleicht die abweichende Satzbezeichnung anstelle der ansonsten üblichen Bezeichnung „Prelude”.

Besonderes Augenmerk galt den Korrekturen und den daraus resultierenden Verletzungen des Papiers. Auch suchte ich bei uneindeutigen Bindebögen an deren Enden nach eventuell verlängernden Vertiefungen, oder Rillen im Papier, die vom Schreibutensil hätten stammen können. Derartige Spuren sind allerdings nicht erkennbar. Die Beschaffenheit der Papieroberfläche ist insgesamt sehr homogen und glatt, auch an den Korrekturstellen, was höchstwahrscheinlich auf eine Restaurierung der Handschrift zurückzuführen ist.

Alles in allem kann von einer sorgsam erstellten Abschrift gesprochen werden. Eine flüchtige, schnelle, gar nachlässige Schreibweise kann nicht unterstellt werden. Allerdings hat AMB’s Handschrift etliche Eigentümlichkeiten, die in meiner Analyse der Bindebögen an den entsprechenden Stellen noch erörtert werden. Ihre Setzung der Bindebögen hat hin und wieder eine gewisse Unschärfe, vergleicht man damit das erhaltene Autograph der Violinsoli von J. S. Bach. Das ist wohl darauf zurückzuführen, daß sie die Werke nicht selbst spielte. Jedenfalls bestätigt, ja bekräftigt das Studium des Originals der Abschrift die Feststellungen, die ich in meinem Text „nicht Artikulation, aber Harmonik” (Blogbeitrag vom 12. August 2013) getroffen habe.

Der ästhetische Eindruck der Abschrift läßt auf die hohe Wertschätzung, die ihr bereits während der Entstehung beigemessen wurde, schließen. Kein Scan oder keine Faksimile-Wiedergabe kann diese Aura des Kostbaren vermitteln.

 Michael Bach