Vor 21 Jahren, in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1992, erhielt ich, zu später Stunde, einen unerwarteten Anruf in Wissembourg (Frankreich): „He died! Michael!! He died!!!”
Es stellte sich heraus, nachdem die Anruferin sich etwas beruhigt hatte, daß es die Pianistin Margret Leng Tan aus New York City war, die mich als Erste vom Tod John Cages unterrichtete.
Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie groß damals die Unruhe und Irritation war, die eine Musikavantgarde befiel, welche auf einmal „cage-los” war. John Cages Porträt füllte in diesen Tagen die Titelseiten der großen Zeitungen und Musikmagazine.
Mit dem 100. Geburtstag von John Cage ist eher „Stille” eingetreten – es herrscht Schweigen. Damit meine ich nicht, daß John Cage zu seinem 100. Geburtstag und 20. Todestag nicht gedacht wurde. Aber der provokative Stachel seines Outputs ist heute verdeckt. Man hat sich zwischenzeitlich Cage „zurecht gelegt”. Ganz gegen dessen Willen.
Zu Lebzeiten, kurz vor seinem Tod, hat John Cage sich noch einmal, zu meiner eigenen Überraschung, so geäußert: „People are taking liberties.” 1) (Das Gespräch wurde Jahre später ins Buch MUSICAGE von Joan Retallack mit aufgenommen.) Dies klang in meinen Ohren einerseits resignierend, andererseits eben nicht, weil es ihm wichtig war mitzuteilen, daß er mit dem Umgang mit seinem Oeuvre nicht immer einverstanden war, und dies unverhohlen kritisierte. Seine Haltung in Fragen der Rezeption seines Oeuvres wird ja, damals wie heute, immer gerne als indifferent, als fast gleichgültig hingestellt. So war es aber nicht.
Die Eröffnung des Blogs „the cello upgrade“ geschieht am heutigen Tag im Gedenken an John Cage.
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Meine erste Begegnung mit John Cage fand 1987 in New York statt.
Es lag viel Schnee in den Straßen, ein totaler Gegensatz zu Palm Springs in Kalifornien, wo ich gerade Ernst Krenek besucht hatte. Dieser zeigte mir übrigens von seinem Fenster aus Kolibris und die Baumgrenze. Ich brauchte einen Moment um zu begreifen, was ihm so selbstverständlich war: Das Bild des Bergpanoramas mit der Baumgrenze schien nämlich Kopf zu stehen, denn erst ab einer gewissen Höhe können in der kalifornischen Wüste Bäume gedeihen. Die Baumgrenze ist also dort das untere Höhenlimit, worüber sich der Wald erstreckt.
Persönlich, vom Habitus, war John Cage der totale Gegensatz zu Ernst Krenek. Sein New Yorker Loft war voller Gäste, mit denen er Schach spielte und sich unterhielt. Ich brachte mein Cello mit und hatte eigentlich vor, ihm meine Version von “59′ ½” for a String Player” vorzuführen. Aber meine kalten Finger und die ungewohnte Situation, auch mein karges Englisch zu dieser Zeit, bewogen mich, das Cello gar nicht erst auszupacken. So blieb meine erste Begegnung mit John Cage quasi stumm.
Es war dann das Jahr 1989, wo ich ein sogenanntes „uptown concert” in der
Weill-Hall von New York hatte.
John Cage’s Etudes Boréales für Cello solo, ein hochvirtuoses Werk, ähnlich komponiert wie die Freeman Etudes für Violine solo, hatte ich zwar nicht auf dem Konzertprogramm, spielte es aber diesmal John Cage und zwei weiteren Gästen in dessen Loft vor. Dies war der Beginn einer, leider nur kurz währenden, Freundschaft und fruchtbaren Zusammenarbeit.
Mit John Cage besprach ich bei dieser Gelegenheit, vor dem Konzert, die Verwendung meines bebilderten Cellokastens. Ich hatte die Künstlerin Susanne Walter gebeten, diesen zu bemalen. Kurz vor meiner Abreise in die USA hatte ich in einem Konzert in Stuttgart diesen bemalten Kasten als visuelles Element auf der Bühne einbezogen. Die Stuttgarter Presse hatte dies kritisiert. John Cage meinte daraufhin zu mir: „The audience is easily irritated.” 2) Auch Aleck Karis, mein Pianist in New York, riet davon ab, gleiches zu versuchen: „They want to hear you play the cello and nothing else.” 3) Auch der Veranstalter, die ISCM von New York, riet von dem Vorhaben ab. Ich beschloß schließlich, den Cellokasten nicht auf die Bühne zu stellen.
Auf dem Konzertprogramm stand u. a. Karlheinz Stockhausens SOLO für Melodieinstrument und Rückkopplung. Immer dann, wenn keine Live-Elektronik zur Verfügung stand, führte ich dieses Werk, notgedrungen, mit einem eigens produzierten Zuspielband auf. Allerdings unter der Bedingung, daß ich selbst die Einschalttaste des Bandgeräts während des Konzerts bedienen konnte. Äußerst strenge amerikanische Gewerkschaftbestimmungen untersagten dies (in anderen Ländern gab es nie ein Problem damit), so daß ich kurzerhand SOLO vom Programm nahm und John Cages Etudes Boréales dafür einsetzte.
John Cage kam zusammen mit Earle Brown, dessen Music for Cello and Piano auch auf dem Programm stand, zum Konzert.
Beide waren verfrüht und sahen meinen bunten Cellokasten, nach den Proben noch auf der Bühne stehend. Ich hörte wie John Cage sagte: „Oh, it’s so marvelous that this cello case is on stage.” 4) Dies hörte auch der Veranstalter, der postwendend hinter die Bühne kam, um mir diese Botschaft zu überbringen – mit der inständigen Bitte, ich solle den Cellokasten doch bitte dort belassen und ihn im Konzert verwenden … Im Konzert vergaß ich dann die 5. Seite des Cellokastens zu zeigen, was anschließend vonseiten des Publikums bedauert wurde … Wie man’s macht, ist …
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Die nächste Begegnung mit John Cage fand im Herbst 1989 beim Huddersfield Contemporary Music Festival in England statt. Dieses Konzert markiert bereits den Beginn meiner Arbeit am Rundbogen, weshalb der nächste Blog-Beitrag sich dieser Thematik widmen wird.
Michael Bach
1) “Die Menschen nehmen sich gerne Freiheiten heraus.”
2) “Das Publikum ist schnell irritiert.”
3) “Sie wollen dich Cello spielen hören und nichts weiter.”
4) “Oh, es ist so schön, den Cellokasten auf der Bühne zu sehen.”