Urtext = Klartext? – eine Analyse der Sarabande in D-Dur, Teil 4 (Takt 25-32)

Germany

Michael Bach

Dies ist der vierte Teil der Analyse der

Sarabande in D-Dur

 

Gast:
Burkard Weber

Video:
Interpretation der “Sarabande in D-Dur”
Michael Bach, Violoncello mit BACH.Bogen:
https://youtu.be/YuqXQgfPKkg

Analyse:
https://youtu.be/3vUgrV05eZg

Bach Digital
Abschrift von Anna Magdalena Bach, Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin – PK

 

Teil 4

 

Sarab D-Dur Bindebögen- 006

Takt 25

In den folgenden 3 Takten stehen vierstimmige Akkorde auf der 1. Zählzeit. Der erste ist auch betont, der zweite auch … allein schon dadurch, daß sie vierstimmig sind. Das muß man auch beachten, wie soll ich sagen, dadurch daß sich die Regeln des Bindbogen-Kodex durchkreuzen …

Es gibt manchmal den Fall, daß die Bindebögen zwar suggerieren, daß eine Zählzeit unbetont ist, aber da steht auf einmal ein vierstimmiger Akkord. Der ist natürlich akzentuiert.

In Takt 25 hat Bach einen Haltebogen im Anschluß an den Bindebogen geschrieben. D. h. daß die Zwischenzählzeit, zwischen der 2. und 3. Zählzeit, betont wird. Das ist die Tonika.

Also, wir kommen hier sozusagen “aus dem Takt”.

Takt 26

In der 1. Zählzeit schreibt Bach einen Bindebogen. Der Tritonus der 2. Zählzeit ist betont, das e ist angebunden, die Repetition des e kann nicht angebunden werden, trotzdem, infolge der punktierten Halben Note in der Oberstimme, entsteht ein decrescendo:

Takt 27

Zu d-moll, was eine Überraschung ist. Man erwartet ja eigentlich D-Dur, aber es erscheint d-moll.

 

Takt 28

Die Dominante erklingt. Die Note ais im Baß bedeutet eine Zwischendominante, diejenige von h-moll.

Die Harmonie h-moll, die bislang nicht vorbereitet worden war, wird jetzt durch einen vierstimmigen Akkord mit dem einprägsamen ais im Baß, also mit ihrer eigenen Zwischendominante, tatsächlich etabliert.

Sarab D-Dur Bindebögen- 007

Takt 29

Das ist die Tonikaparallele h-moll (1. Zählzeit).

Übrigens, ungewöhnlich ist im Vortakt der Bindebogen zur 1. Achtelnote d – und nicht über beide Achtelnoten – wodurch die Note e akzentuiert wird. Bach möchte, daß die Achtelnote e deutlich ist.

Bach schreibt hier zum 1. Mal Pausen in die Unterstimme. Das ist sehr ungewöhnlich.

Ich habe mich auch gefragt, welche Harmonien haben wir hier eigentlich? Könnte das z. B. die Dominante sein? [spielt die 2. Zählzeit mit cis und a in den Unterstimmen] Wäre möglich.

Oder kommen wir langsam von h-moll wieder nach G-Dur, zur Subdominante? Es könnte sich sogar die Tonika daraus entwickeln.

Ich habe einmal nachgeschaut – wenn es um Tonhöhen geht, schaue ich manchmal bei Kellner nach, das ist die 2. Abschrift, die wir haben. Eigentlich die erste, zeitlich vor derjenigen von Anna Magdalena Bach entstanden.

Da bin ich tatsächlich fündig geworden, denn Kellner schreibt eine kleine Vorschlagsnote vor das e, nämlich ein cis. Damit ist die Dominante klar. Aber, ich glaube, daß das eine Zutat von Kellner ist. So etwas findet man manchmal bei ihm, er war ja Kompositionsschüler von Bach.

Aber Kellner hat sich offensichtlich auch “am Kopf gekratzt”: Was sind hier eigentlich für Harmonien, wo diese Pausen dastehen? Bach hätte doch ein paar Noten mehr hinschreiben können, damit wir wissen, wo wir uns harmonisch befinden. Bach hat das bewußt nicht gemacht.

Und dann noch eine Besonderheit an dieser Stelle: Es gibt einen kleinen Bindebogen und der steht eigentlich als Haltebogen über dem hohen g.

Dies ist so ungewöhnlich, eine Sechzehntelnote synkopisch vor der nächsten Zählzeit anzubinden, daß ich mir lange Zeit Gedanken gemacht habe, ob dieser Bindebogen einfach nur verrutscht ist. Müßte dieser Bindebogen nicht eigentlich auf dem fis stehen? Aber das fis ist die Terz der Tonika und wäre dadurch stärker hervorgehoben, mit einem kleinen Bindebogen …

Jedenfalls, egal wo der Bindebogen steht, die Spitzennote g wäre in beiden Fällen akzentuiert.

Also, wenn ich so spiele [spielt den Bindebogen auf der Note fis], wäre die 2. Zählzeit mit der Spitzennote g akzentuiert, laut Bindebogen-Kodex.

Wenn ich hingegen so spiele [spielt einen Haltebogen auf der Note g], ist die Spitzennote g auch akzentuiert. Ich dehne sogar das g ein wenig.

Mir scheint diese Version ungewöhnlicher zu sein. Deshalb spiele ich diesen Bindebogen so, wie er dasteht. Es gibt keinen Grund, aus meiner Sicht, es anders zu spielen.

Und jetzt, in der 3. Zählzeit ist eindeutig ein Dominantseptakkord, genauer: die Zwischendominante zur Subdominante. Am Taktende ist wieder eine Pause im Baß.

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