Bernd Alois Zimmermann und Johann Sebastian Bach in der Sonate für Cello solo (1960)

Zum 100. Geburtstag von Heinrich Böll

 

Video:
https://youtu.be/MfFPXP3sxuM

 

BAZi Konzertprogramm 2017 001

 

Es ist viel über die Solosonate für Cello gesprochen worden 1, anhand der Texte von Zimmermann selbst. Aber, ich möchte jetzt über etwas sprechen, was Bernd Alois Zimmermann Ihnen nicht verrät: Und zwar verbindet Zimmermann in diesem Stück seinen Namen mit dem Namen von Johann Sebastian Bach. Es ist sehr auffällig, daß die Tonfolge, die wir Musiker sehr gut kennen [spielt die Tonhöhen b – a – c – h am Cello], also b – a – c -h erscheint. Wenn Musiker das hören, wissen sie, daß das ein Zitat des Namens “BACH” darstellt. Wenn die Tonfolge einen Halbton tiefer wäre [spielt a – gis – h – b], würden wir das auch noch mit dem Namen “BACH” verbinden, also wenn man kein absolutes Gehör hat, ich habe keines. Und aus dieser Tonfolge von 4 Tönen, die einen Halbton auseinander liegen [spielt a – b – h – c – h – b – a], entwickelt Zimmermann einen spezifischen Tonraum. Er fügt dann noch die restlichen 8 Töne der chromatischen Tonleiter hinzu. Und die tiefere Tonfolge, die ich Ihnen ebenso demonstrierte, das ist eigentlich der Tonraum von “Bernd Alois Zimmermann” (i. F. “BAZi”). Denn, die Tonfolge von “BACH” hat 2 Mitteltöne [spielt h und b] und 2 Außentöne [spielt c und a] und diese beiden Mitteltöne bilden hier das Zentrum. Beim Tonraum von “BAZi” sind es die Note b für “Bernd” und die Note a für “Alois” [spielt a – b – h – gis]. Daraus entwickelt er in analoger Weise auch einen Tonraum. Und beide Tonräume sind die Basis des gesamten Werks 2.

Es ist jetzt so, – nehmen wir mal den letzten Satz names “Versetto”, der das Credo des Ganzen darstellt -, daß hier zunächst der Tonraum von “BAZi” erklingt, dann derjenige von “BACH” und dann noch einmal der Tonraum von “BAZi”. Es endet aber das Werk merkwürdigerweise mit folgenden Tonhöhen [demonstriert gleichzeitig am Cello] a – g – c – h – b, das ist also “BACH”, doch hat sich irgendwie ein g hineingemischt, hineinverirrt. Und man fragt sich natürlich, kann man auf die Note g verzichten, oder warum macht Bernd Alois Zimmermann das? Das muß doch einen Grund haben. Und der Grund ist der, daß, wie ich schon sagte, der letzte Tonraum, der erklingt, nicht derjenige von “BACH” ist, sondern von “BAZi”. Und da fügt sich die Note g folgerichtig hinein.

Das Werk beginnt mit der Note b, gefolgt von der Note a, und man würde jetzt denken, daß dies vielleicht der Tonraum von “BAZi” sein könnte. Aber es ist genau umgekehrt, es ist der Tonraum von “BACH”. So ist es im gesamten Werk, die Tonräume vermischen sich, sie machen Vexierspiele, sie gehen ineinander über.

Sie können das übrigens nicht hören [Publikum lacht erheitert]. Ich kann Sie beruhigen, Sie hören das nicht. Ich selbst könnte die Analyse ebenfalls nicht hörend machen. Trotzdem hat Bernd Alois Zimmermann kompositorische Überlegungen angestellt, damit doch Tonräume sich einprägen, oder besser: gewisse Tongruppen sich einprägen. Eigentlich ist diese Vorgehensweise eine traditionelle Kompositionsmethode, würde ich mal sagen. Aber es ist wesentlich für das Werk, zu wissen, – deshalb sage ich das -, zu wissen, daß es sich um diese beiden Namen handelt, die hier in Tönen ausgelegt werden. Ohne diese Konzeption hätte Bernd Alois Zimmermann dieses Werk nicht schreiben können. Ich denke auch, daß eine Analyse zumindest für den Interpreten sehr wichtig ist, – eine tiefgehende Analyse. Denn ansonsten wäre es ungefähr so, als wenn ein Sprecher einen Text lesen würde, in einer ihm fremden Sprache, die er nicht versteht. Er würde sich an Äußerlichkeiten halten, es irgendwie deklamieren, aber das wäre völlig unzufriedenstellend. Und ich denke, daß es ganz wichtig ist, zu verstehen, wie das Werk komponiert ist, damit man es spielen kann … ja.

Ich halte es auch, ich glaube, das ist nicht falsch, für das wichtigste Solowerk für Cello, also es ist 1960 geschrieben, seit den Suiten von Bach, die 1720 entstanden. Danach ist zunächst nicht mehr für Cello solo komponiert worden, erst wieder im 20. Jhdt.

 

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Zur näheren Erläuterung des Gesagten

 

Die Tonhöhen des Nachnamens von Johann Sebastian Bach entsprechen in der deutschen Benennung den Buchstaben b – a – c – h. (Im Englischen existiert der Notenname h nicht, stattdessen wird dieselbe Tonhöhe mit b bezeichnet und das deutsche b mit b-flat.) Stellt man die 4 Tonhöhen in eine chromatisch aufsteigende Reihenfolge, dann sind die Noten b und h die zentralen Tonhöhen:

b a c h 009

Davon ausgehend reiht Bernd Alois Zimmermann die verbleibenden 8 Tonhöhen des Oktavraums an:

Tonreihe BACH 002

Wenn die Tonhöhen nacheinander notiert werden, erhält man eine Allintervallreihe:

Allintervallreihe 004

Hier sind wir ganz nahe bei Bach: Die Allintervallreihe enthält sowohl alle 12 Tonhöhen innerhalb der Oktave als auch alle Intervalle von der kleinen Sekund bis zur großen Septim. Die Vertikale und die Horizontale, Intervalle und Tonhöhen bilden in ihr eine Einheit. Aus einem Ausgangston läßt sich das gesamte Spektrum des 12-tönigen Klangraums entfalten 3.

Analog zur Tonreihe “BACH” erhält Bernd Alois Zimmermann, ausgehend von den Tonhöhen b und a (für Bernd und Alois) diejenige Tonhöhenreihe, die er mit seinem eigenen Namen verknüpft:

Tonreihe BAZi 003

Beide Tonreihen von “BACH” und “BAZi” sind demnach um einen Halbton gegeneinander versetzt, beginnend mit den kleinen Sekundintervallen b und h bzw. mit b und a. Die Note b verbindet beide Ausgangsintervalle.

Bernd Alois Zimmermann faßt nun die 6 aufsteigenden sowie die 6 absteigenden Tonhöhen von beiden Tonreihen in 3er-Gruppen zusammen.

 

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BAZi Sonate Versetto 002

Im letzten Satz des Werks, betitelt mit “Versetto”, beginnt Bernd Alois Zimmermann mit der Tonreihe “BAZi”. Die Tonhöhenwiederholungen sind in Klammern gesetzt:

Versetto 1 + 2 005

Im 3. Spielfeld erklingt die Tonreihe “BACH”, jedoch nicht komplett, denn der Note e am Ende folgen im 4. Spielfeld nicht die Tonhöhen d und es. Überraschend steigt die chromatische Tonfolge hingegen mit den Tonhöhen f und fis, dadurch wieder zurückleitend zur Tonreihe “BAZi”:

Versetto 3 + 4 006

Die 3 Tonhöhen fis – es – d des 5. Spielfeldes, die als Einwurf fungieren und ungewöhnlicherweise als Vorschlagsnoten einer Pause notiert sind, rückbeziehen sich auf die 3 mittigen Noten der Septole im vorherigen Spielfeld:

Versetto 5 007

Dort, im 4. Spielfeld, sind die Noten es und d zwar der Tonreihe “BAZi” zugehörig, sie repräsentieren aber auch die beiden, immer noch fehlenden Tonhöhen der Tonreihe “BACH”. Denn die in der Tonreihe “BAZi” zusammenhängende 3er-Gruppe cis – d – es wird unterbrochen, die Tonhöhe cis wird von es und d abgetrennt, dadurch daß die Noten f und fis eingestreut sind, die die Tonhöhen des vorherigen Takts wiederholen. Die verfremdende Notierung der Note f als eis zieht verstärkt das Augenmerk auf diese Besonderheit.

Die 5 Tonhöhen a – g – c – h – b des 6. Spielfelds beenden das Werk, indem die restlichen Noten der Tonreihe “BAZi” erklingen. Die Verquickung mit dem Namen “BACH” wird hier nochmals eindringlich sichtbar und hörbar, weil dessen Notennamen dominieren:

Versetto 6 008

 

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Rappr 1 - 3 010

Wendet man sich nun dem Beginn der Sonate für Cello solo zu, so ist auffällig, daß die Tonhöhen b und a das Werk einleiten. Wie in der Konzerteinführung bereits angesprochen, gehören diese beiden Tonhöhen nicht der Tonreihe “BAZi” sondern derjenigen von “BACH” an. Die Tonfolge kommt gegen Ende dieser Tonreihe ins Stocken bei der Tonhöhe e (vgl. den ähnlichen Vorgang im “Versetto”), wird aber doch noch im 3. Spielfeld zu Ende geführt und wird alsdann mit der exponierten Note cis, notiert als des, zur Tonreihe “BAZi” übergeführt 3:

Tonreihe Rappresentazione 001

 

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1
Im Gesprächskonzert wurden der Text “Über die neuerliche Bedeutung des Cellos in der neuen Musik (1968)” und die Werkeinführung zur “Sonate für Cello solo“, beide von Bernd Alois Zimmermann, direkt vor der Aufführung der Sonate für Cello solo von der Schauspielerin Bettina Marugg vorgetragen.

2
Eine Kuriosität am Rande: Da diese Konzertveranstaltung der Verbindung von Heinrich Böll und Bernd Alois Zimmermann gewidmet war, könnten die Notennamen b und h des Ausgangsintervalls für die Tonreihe “BACH” auch für die Initialien von Heinrich Böll stehen.

3
Das bekannteste Beispiel dürfte die Chaconne für Violine solo darstellen, wo der dissonanteste Akkord des Werks, der gleich zu Beginn hereinbricht, sukzessiv in den Einklang geführt wird. Die Chaconne endet mit ihrem Grundton als Prim.

4
Wulf Konold zitiert diese Zwölftonreihe in seinem Buch über Zimmermann (DuMont, Köln 1986), ohne zu erkennen, daß es zwei konkurrierende, um einen Halbton versetzte Zwölftonreihen in diesem Werk gibt: “Zugrundegelegt ist der Sonate eine Zwölftonreihe, die aber nie strikt verwendet ist …“. Die komponierten Unregelmäßigkeiten und Brüche, die die Auseinandersetzung beider konkurrierender Tonreihen von “BACH” und “BAZi” kreiert, sind insofern das eigentliche Thema Bernd Alois Zimmermanns.

Michael Bach