Eine Begegnung mit Anner Bylsma

(1934 – 2019)

 

Anläßlich der “les journées du violoncelle” im Frühjahr 2000 in Paris bin ich per Zufall Anner Bylsma begegnet. Die Konzerte des Festivals fanden in der Cité de la Musique statt. Anner Bylsma war für die Alte Musik zuständig und Christophe Roy und ich für die Neue Musik. Wir beide saßen gerade im Foyer der Cité als Anner Bylsma mit Cellokasten an uns vorüberging. Ich begrüßte ihn und sprach ihn spontan auf den Rundbogen an.

Zu dieser Zeit waren meine Rundbogenmodelle noch in der Entwicklungsphase. Der eigentliche Durchbruch zum endgültigen Modell mit einer grundsätzlich neuen Funktionsweise geschah erst im Herbst 2000. Dieses Rundbogenmodell wurde von mir annläßlich des “7ème Concours de violoncelle Rostropovitch” im Jahr 2001 in Paris auf Einladung von Mstislaw Rostropowitsch vorgestellt.

Anner Bylsma hielt mir aus dem Stehgreif einen circa viertelstündigen Vortrag über die, aus seiner Sicht fehlgeleiteten, Versuche einiger Geiger, sich einen Rundbogen bauen zu lassen und damit die Solowerke Bachs zu interpretieren. Ich kannte das alles bestens und seine Kritik konnte ich weitestgehend bestätigen. Deshalb sagte ich im Anschluß an seinen Vortrag in Privatissimum: “Ich stimme Ihnen zu, aber wollen Sie meinen Rundbogen nicht doch einmal hören?” Anner Bylsma stutzte für einen Moment. Dann sagte er: “Ja, OK, aber ich habe nicht viel Zeit.”

Wir gingen in die Künstlerräume der Cité, ich packte Cello und Rundbogen aus und begann mit Dieter Schnebels “Inventionen” aus dem Jahr 1987, die für den “Bachbogen”, so nannte er den visionären Rundbogen, komponiert waren. Dies war kurz bevor ich selbst, im Jahr 1989, mit Rundbogenexperimenten begann. Anfang der 90er Jahre führte ich dieses Stück nach seinen Vorstellungen erstmalig mit Rundbogen auf. Es stand auch auf meinem Konzertprogramm in Paris.

Danach spielte ich eine Sarabande von Bach. Als ich geendet hatte, war Anner Bylsmas spontane Reaktion: “Das müssen Sie unbedingt dem Ernst Rejseger zeigen!” Und gleich danach prompt seine Frage: “Was kostet der?” Ich war wirklich überfragt, denn ich hatte zu dieser Zeit nur Prototypen, die alle unterschiedliche Herstellungskosten hatten.

Anner Bylsma bereitete sich offensichtlich auf eine Probe vor und verließ nach dieser kurzen Begegnung die Künstlergarderobe.

Aber das Beste kam noch, ein völlig unerwartetes, prägnantes “Nachspiel”: Als ich meine Sachen wieder eingepackt hatte, ging ich durch einen größeren Saal zum Ausgang der Cité. Plötzlich, ich erschrak förmlich, hörte ich ein laut nachhallendes, kratziges Geräusch hinter mir. Ich konnte seine Provenienz überhaupt nicht einordnen. Ich dachte intuitiv, daß etwas umgefallen und zu Bruch gegangen sei. Ich drehte mich erstaunt um, suchte mit den Augen nach der Ursache, und sah dann Anner Bylsma an seinem Cello irgendwo hinten im Saal sitzend. Er lachte mich einfach nur an, ohne etwas zu sagen. Da fiel bei mir der Groschen: Es gab keinen Zweifel, er mußte die akustische Quelle gewesen sein. Offensichtlich hatte er mir, humorvoll wie er war, zum Abschied, einen kräftigen, mehrsaitigen Klang hinterher schicken wollen. Dieses abscheuliche Geräusch, erzeugt mit seinem Barockbogen, welcher nur unter einem hohen Druck drei oder vier Saiten berühren und insoweit ein gepreßtes, quäkendes Klang-Geräusch-Gemisch hervorrufen kann, war für mich letztlich die Bestätigung für die klangliche Notwendigkeit eines Rundbogens. Vielen Dank.

Michael Bach