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Dank an Peter Härtling

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Peter Härtling (1933 – 2017)

Peter Härtling lernte ich Mitte der 90er Jahre persönlich kennen, als er eine Eröffnungsrede zu einer posthumen Ausstellung von Fritz Ruoff (1906 – 1986) in Nürtingen bei Stuttgart hielt. Meine Frau, die Bildhauerin und Künstlerin Renate Hoffleit war mit Fritz Ruoff in den 80er Jahren eng befreundet. Davon zeugen heute viele unter ihnen ausgetauschte Zeichnungen und Skulpturen in den Räumen ihrer Ateliers.

Fritz Ruoff hatte den Vollwaisen Peter Härtling direkt nach dem Krieg aufgenommen und gefördert. Die Rede Peter Härtlings über das Werk Fritz Ruoffs war sehr einfühlsam und war geprägt von einem sensiblen Blick auf das in sich ruhende, von ebenmäßigen Proportionen durchdrungene Schaffen, das überwiegend aus Zeichnungen besteht.

Mit der gleichen, abtastenden Zuwendung konnte sich Peter Härtling auch der Musik nähern. Seine Affinität zur Musik ist einer breiteren Öffentlichkeit eher bekannt. Mir ist allerdings nie zu Ohren gekommen, daß er sich mit avantgardistischer Musik unserer Zeit auseinandersetzte.

Trotzdem, was uns verband, allerdings nur sehr flüchtig, war der Rundbogen und auch die zeitgenössischen Werke, die für dieses neue Instrument geschrieben wurden. Vielleicht stellt das eine Ausnahme dar, vielleicht auch nicht.

Jedenfalls habe ich Peter Härtling zu verdanken, daß er mir Zuspruch gab, genau in einer Zeit, als ich mich anschickte, den Rundbogen ernsthaft weiterzuentwickeln. Ich war damals allerlei Anfeindungen von Kollegen ausgesetzt, die der neuen Perspektive für ihr eigenes Instrument keinen Gedanken schenken wollten.

Peter Härtling 1997 001 Brief von Peter Härtling vom 10. April 1997

Wir liefen uns immer wieder in den Folgejahren über den Weg. Peter Härtling hielt ja unermüdlich Vorträge, auch in der Karlsruher Musikhochschule. Bis ich ihn im Jahr 2012 fragte, ob er sich als Juror für ein Kunstprojekt zur Verfügungen stellen könnte. Dieses Kunstprojekt betraf die gefällten Bäume des Mittleren Schlossgartens in Stuttgart, die dem Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, plakativ bekannt unter dem Schlagwort “Stuttgart 21”, weichen mußten. Mein Gedanke hinter meiner Bitte an Peter Härtling war, daß eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Thematik “Stuttgart 21” konstruktiv und förderlich auf die öffentliche Wahrnehmung einwirken könnte. Dabei ging es mir in erster Linie nicht um die wunderbaren Bäume, die brutal gefällt wurden, sondern eher um den unseligen, ignoranten politischen Prozess, der zurecht diesen Widerstand in der Bevölkerung hervorrief.

Peter Härtling 2012 001Brief von Peter Härtling vom 30. Juli 2012

Peter Härtling lehnte ab. Er hatte Recht. Aus dem Kunstprojekt wurde nichts, die mächtigen Bäume verrotteten und verpilzten. Ein lächerliches Pseudokunstprojekt wurde dann doch noch so am Rande abgewickelt. Dazu bediente man sich eines Stuttgarter Vereins namens “Geist und Geld”.

Im Jahr 2013 veranstaltete die Stiftung Domnick in Nürtingen eine Art Konzert-Vortrag mit mir unter dem Titel “Urtext = Klartext?” 1), worum es um meine Neuentdeckungen zu den Bindebögen in Anna Magdalena Bachs Abschrift der Cellosuiten ging. Mit diesen Neuigkeiten trat ich hier zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Da es in Nürtingen, seiner alten Heimat, stattfand, es auch um den Rundbogen ging und die Musik Johann Sebastian Bachs im Vordergrund stand, hoffte ich, daß Peter Härtling genug Anlaß hätte, zu kommen. Aber seine angegriffene Gesundheit ließ es leider nicht zu.


Peter Härtling 2013 001
Brief von Peter Härtling vom 09. April 2013

 

 

Paganini-Härtling 2011
Signatur von Peter Härtling 2010
auf einem Albumblatt von Clara Wieck 1829,
das eine fünfstimmige Notenskizze für Violine solo von Paganini zeigt.

Michael Bach

 

1)  “Urtext = Klartext?”, Die Bindebögen im Prélude in G-Dur für Violoncello solo

Text

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Letztes FAX von John Cage

Germany

Heute vor 25 Jahren

 

Cage fis FAX Stuttgart 1992 08 03 - Kopie
John Cage, FAX an Michael Bach vom 03. August 1992

 

Mein letztes Telefonat mit John Cage führte ich am 03. August 1992 von Stuttgart nach New York City. Es ging um die weitere Ausarbeitung von “ONE13” für Violoncello mit Rundbogen und Zuspielungen 1). Dieses Werk besteht aus acht Abschnitten, wobei jeder Abschnitt ausschließlich einer einzigen Tonhöhe zugeordnet ist.

Die Besonderheit am Cello ist nun, daß eine spezifische Tonhöhe nicht nur auf verschiedenen Saiten erzeugt werden, sondern unter Einbeziehung von unterschiedlichen Obertönen (sogenannte natürliche oder künstliche Flageolettöne) erklingen kann. Mit dem Rundbogen sind auch drei- oder vierstimmige Zusammenklänge möglich.

Für die Tonhöhe fis’ haben John Cage und ich am 20. Juli 1992 in New York insgesamt 20 Zusammenklänge notiert:

Cage fis Merce Kopie 1 - Kopie

Cage fis Merce Kopie 2 - Kopie
John Cage, Griffnotationen der Tonhöhe fis’ vom 20. Juli 1992

Zuvor, am 18. Juli führten John Cage und ich ein längeres Gespräch über verschiedene Themen, das Joan Retallack aufnahm und später im Buch “MUSICAGE2) veröffentlichte.  Wir begannen, zum Abschluß, mit einer neuen Version von “Ryoanji” für Cello, wobei sich ein Zufallsergebnis einstellte, das die kompositorische Arbeit grundlegend beinflussen und verändern sollte: nämlich die Prim fis’ 3). Den Vorgang schildere ich im Vorwort zu “ONE134).

Am nächsten Tag arbeiteten wir den ersten Teil von “Ryoanji” aus und am 20. Juli befaßten wir uns mit dem dritten Teil, der diese Prim fis’ enthält. Wir übersprangen also den zweiten Teil aus Zeitgründen, da am letzten Tag meines New Yorker Aufenthalts der Frage nachgegangen werden sollte, wie sich ein Zusammenklang gleicher Tonhöhen auswirkt, spieltechnisch und gehörsmäßig.

Zurück in Europa begann ich, noch während der Darmstädter Ferienkurse, mit der Ausarbeitung der anderen Tonhöhen für die restlichen Teile von “ONE13“. Diese sehr umfangreiche Liste von Zusammenklängen soll John Cage noch knapp vor seinem Tod erhalten haben. Jedenfalls hatte ich John am 03. August telefonisch gebeten, mir doch die beiden Blätter mit den fis’ Klängen zuzufaxen, um meine Arbeit mit den anderen Tonhöhen abschließen zu können. Zu meiner Überraschung sandte er mir, noch am gleichen Tag, eine Reinschrift dieser  fis’ Zusammenklänge zu (s. o.).

John Cage starb am 13. August.

Am 20. September war ich mit Merce Cunningham in Frankfurt a. M. verabredet. Er gastierte dort mit seiner Dance Company. Merce versprach, Kopien meiner letzten Zusammenarbeit mit John zu senden, die ich Anfang Oktober erhielt. Zu meiner großen Überraschung waren darunter nicht die Partiturblätter zu “Ryoanji“, auch nicht diejenigen beiden Blätter, die wir gemeinsam in New York fertigstellten, sondern die vollständige Partitur von “ONE13“. Der erste Teil mit der zentralen Note fis’ war komplett fertig, aber die restlichen Teile noch nicht, da er auf meine Liste mit den entsprechenden Zusammenklängen wartete. In den mir von Merce übermittelten Unterlagen waren aber bereits die Zufallszahlen für deren Auswahl schon vorhanden.

Cage fis Merce Kopie 3 - Kopie
John Cage, Griffnotationen der Tonhöhe fis’, zugesandt von Merce Cunningham

Die Suche nach “Ryoanji”, zumindest nach den beiden fertig gestellten Seiten des ersten Teils, setzte sich fort. Niemand aus dem Bekanntenkreis von John Cage konnte sich vorstellen, daß er sie vernichtet haben könnte. Laura Kuhn, die Geschäftsführerin des “The John Cage Trust” faxte mir im März 1993 nochmals die gleiche Liste mit fis’ Klängen:

Cage fis FAX Laura Kuhn 1993 03 16 - Kopie
John Cage, Griffnotationen der Tonhöhe fis’, gefaxt von Laura Kuhn

Dies war natürlich keine der Seiten aus “Ryoanji“, die ich vermißte. Um Klarheit zu schaffen, flog ich im Juli 1993 nach New York, um mich mit Laura und Merce zu treffen und um im Nachlaß nach diesen verschollenen Seiten suchen zu können. Vergebens. Von “Ryoanji” für Cello sind aus der Feder von John Cage demnach nur erhalten, die Skizze zu den Tonräumen vom 18. Juli 1992 und der dritte Teil, welcher identisch mit dem ersten Teil von “ONE13” ist. Im Programmheft der Donaueschinger Musiktage 1994, wo ich unter Zuhilfenahme meiner eigenen Aufzeichnungen eine rekonstruierte Fassung under dem Titel “Ryoanji-Material” uraufführte, werden diese Zusammenhänge näher erläutert.

Verschollen sind übrigens auch die 15 Schablonen aus Pappe, die Umrisse von kleinen Steinen darstellten, welche sich John Cage für die Komposition “Ryoanji” hergestellt hatte. Hiervon gibt es nur noch meine Abzeichnung aus diesen Julitagen in New York. Diese Umrisse waren aber essentiell für die Rekonstruktion und Fertigstellung des Werks für Donaueschingen.

Skizze Ryoanji Schablonen 1992 07 19 Ausschnitt
Michael Bach Bachtischa, Skizze 19-07-1992 (Ausschnitt)

Michael Bach

 


1)   John Cage und Michael Bach Bachtischa, “ONE13” für Violoncello mit Rundbogen
und Zuspielungen (1992), C. F. Peters Corp.

2)   “MUSICAGE“, Editor: Joan Retallack, Wesleyan University Press, Hanover 1996

3)   Unter einer Prim versteht man den Zusammenklang von zwei Tönen der gleichen Frequenz.

4)   Vorwort zu “ONE13” : http://www.bach-bogen.de/john-cage.html