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Renate Hoffleit – Michael Bach Bachtischa, genius loci concertante

Germany

Renate Hoffleit Saite -
Renate Hoffleit, Saite

 

Physikalische Eigenschaften von Langen Saiten

Die Saiteninstallationen basieren auf einer charakteristischen Gesetzmäßigkeit: Die Frequenzen von Langen Saiten sind stets umgekehrt proportional zu ihrer Länge. Was bedeutet das?

Ein einfaches Beispiel: Verdoppelt sich die Länge einer Saite, so ergibt sich die halbe Frequenz, oder umgekehrt: halbiert sich die Länge, so verdoppelt sich die Frequenz.

Saitenlänge-FrequenzJPG

Wenn die Länge einer Saite mit einem beliebigen Faktor multipliziert wird, so wird ihre Frequenz mit demselben Faktor dividiert. So lassen sich die Obertöne einer Langen Saite mit Saiten der Längen von 1/2, 1/3,1/4, 1/5 usf. der Ausgangslänge produzieren.

Saitenobertöne

Der Grund für diese Gesetzmäßigkeit liegt darin, daß für die Frequenz der Langen Saiten die Longitudinalschwingung bestimmend ist, also nicht die Querschwingung (Transversal-schwingung) sondern die Längsschwingung in Saitenrichtung von Endpunkt zu Endpunkt.

Longitudinal-Transversal

An der kausalen Verkettung von Frequenz und Länge, dem umgekehrt proportionalen Verhältnis, läßt sich nichts manipulieren, auch nicht mit einer Veränderung der Saitenspannung.

Diese Gesetzmäßigkeit ist ausschlaggebend dafür, daß Proportionen einer Architektur oder landschaftliche Dimensionen, die mit Langen Saiten hervorgehoben und definiert werden, direkt und unmittelbar in ein ortsspezifisches Tonsystem übersetzt werden. Eine Saiteninstallation in unserer Konzeption ist demnach visuell und akustisch immer an den Ort gebunden und nicht übertragbar.

Die akustischen Eigenschaften der Saiteninstallation „genius loci gehört

Die Saiteninstallation läßt sich in drei Teilbereiche STERN, PFEIL und FÄCHER gliedern mit einer alle drei Teile verbindenden Diagonalsaite (Saite N° 1).

 

Sammlung Domnick STERN PFEIL FÄCHER

 

Die Saiten N° 2 – 12 des STERN wurden bei der Eröffnung der Saiteninstallation am 22. Juni 2014 von Renate Hoffleit und mir zum Klingen gebracht, mit Ausnahme der kürzesten Saite N° 7.

Die Saiten des PFEIL erklangen ebenso bei der Eröffnung mit Ausnahme der noch nicht gespannten Saiten N° 14 und N° 15. Die Saiten des FÄCHER waren noch nicht gespannt mit Ausnahme der Saite N° 22, die jedoch aufgrund ihrer Höhe an Pappel und Haus nicht gespielt wurde. Die restlichen Saiten werden für das Konzert am 20. September 2014 noch installiert.

Jede dieser drei Teilinstallationen besitzt eine besonders tieffrequente Saite. Beim STERN ist dies die Saite N° 2 mit 48 Hertz, beim PFEIL die Saite N° 16 mit 45 Hertz und beim FÄCHER die Saite N° 22 mit 60 Hertz. Die Diagonalsaite N° 1 hat eine Frequenz von 22 Hertz. Diese tiefe Frequenz befindet sich an der menschlichen Hörschwelle.

Die beiden höchsten Saiten der Saiteninstallation, die Saiten N° 7 und N° 15 haben die Frequenzen 364 Hertz und 380 Hertz, was für die Cellokomposition „locus amoenus” eine besondere Bewandtnis hat.

Anläßlich der konzertanten Aufführung „genius loci concertante” am 20. September 2014 werden die Langen Saiten im Außenbereich gespielt simultan mit der Uraufführung von „locus amoenus” für Cello mit Rundbogen im Innern des Gebäudes. Die Zuhörer befinden sich zunächst ebenfalls im Innenraum, folgen aber am Ende der Aufführung dem Cellisten in den Außenbereich, wo die Klänge der Langen Saiten der Saiteninstallation den Abschluß bilden.

 

Michael Bach Cello -
Michael Bach, Cello mit Rundbogen

Cellokomposition „locus amoenus

Die vier längsten Saiten der Saiteninstallation „genius loci gehört” unterschreiten den Tonraum des Cellos, dessen tiefste Saite, die C-Saite, eine Frequenz von 66 Hertz aufweist.

Diese vier Frequenzen können aber mit Differenztönen indirekt am Cello erzeugt werden. Was sind Differenztöne?

Ein Differenzton ist die Differenz der Frequenzen zweier Ausgangstöne. Haben die Ausgangstöne beispielsweise eine Frequenz von 300 Hertz und 250 Hertz, so ergibt sich der Differenzton mit einer Frequenz von 50 Hertz.

Am Cello läßt sich ein Differenzton erzeugen, indem ein Doppelklang auf zwei Saiten gespielt wird. Der Differenztoneffekt ist unterschiedlich stark, manchmal ist er unhörbar, manchmal deutlich wahrnehmbar. Leicht hörbar sind Differenztöne, wenn zwei hohe Töne gespielt werden und der Differenzton deutlich tiefer ist.

Ein äußerst prägendes Charakteristikum von Differenztönen ist ihre Ungerichtetheit, d. h. sie „stehen” im Raum, sie lassen sich nicht orten, ganz anders als ihre Ausgangstöne, die unmißverständlich vom Instrument her erklingen. Diese Indirektheit verleiht den Differenztönen ein „jenseitiges” Attribut, d. h. sowohl einen unwirklichen als auch einen allgegenwärtigen Wesenszug. *)

Das Cellowerk beginnt mit einer „Âventiure“, die die vier tiefsten Frequenzen der Saiteninstallation mittels Differenztönen darstellt. Da in der ersten Hälfte des Cellowerks die Frequenzen der Saiteninstallation, welche mikrotonal sind, in temperierte Frequenzen des gebräuchlichen Tonsystems umgedeutet werden, ergibt sich noch eine Besonderheit. Die beiden höchsten Frequenzen der Saiteninstallation, die derart in die Tonhöhen fis und g übersetzt werden, welche die temperierten Frequenzen von 373 Hertz und 395 Hertz aufweisen, erzeugen den Differenzton von 22 Hertz. Somit entspricht die Frequenz des Differenztons der beiden kürzesten Langen Saiten in etwa der Frequenz der Diagonalsaite.

Nach dem Eröffnungsteil intoniert das Cello die Frequenzen der Saiten des STERN. Dies geschieht, wie bereits erwähnt, in der temperierten Stimmung, d. h. die mikrotonalen Frequenzen der Langen Saiten werden in das temperierte System eingepaßt, sozusagen zurecht gedacht. Währenddessen jedoch erklingen die Originalfrequenzen des STERN über eine Zuspielung von außerhalb des Gebäudes. Verwendet wird eine Tonaufnahme der Eröffnungsveranstaltung vom 22. Juni 2014. Eine gleichzeitige Live-Performance am STERN wäre aufgrund der großen Entfernung im Innenraum des Hauses unhörbar. Das Cello ergänzt sukzessive die noch fehlenden temperierten Frequenzen des STERN bis alle 12 Halbtöne der Oktav vollzählig sind.

Der zweite Teil beginnt auf der Grundlage der Frequenzen des PFEIL, indem zuerst im Außenbereich die Lange Saite N° 16 live gespielt erklingt. Ihr Klang dringt von außen durch geöffnete Fenster und Türen nach innen in den Konzertraum. Mit den Saiten des PFEIL, die allerdings relativ schwach zu hören sind, da ihre Resonatoren nicht am Haus befestigt sind, entsteht ein leiser Dialog. Das Cello führt einerseits Obertöne dieser Frequenzen aus und addiert andererseits zu den Grundfrequenzen des PFEIL diejenigen des STERN.

Der dritte Teil mit den nun deutlich hörbaren Saiten des FÄCHER, welche an einem Resonator am Haus erklingen, führt das Cello allmählich in den mikrotonalen Tonraum der Saiteninstallation ein. Die fünf Langen Saiten N° 24-28 an der Esskastanie, welche den Tonraum von f bis gis mikrotonal auffüllen, werden obertönig gespielt, währenddessen das Cello ihre Grundfrequenzen intoniert. Interessant ist, daß die Tonhöhen fis und g, eingerahmt mit f und gis, am Ende der Aufführung wieder stärker ins Bewußtsein gerückt werden. Betrachtet man die exakten mikrotonalen Frequenzwerte, so bildet das Intervall der Langen Saiten N° 24 und N° 26 den Differenzton mit 20 Hertz und das Intervall der Langen Saiten N° 27 und N° 28 den Differenzton mit 21 Hertz, dies entspricht wieder in etwa der Grundfrequenz der Diagonalsaite.

Saiten Esskastanie

Mit dem Erklingen der vorletzten Langen Saite N° 19 des FÄCHER verläßt der Rundbogen am Cello nun den üblichen Spielbereich der vier Saiten, indem er auch auf die kurzen Saiten hinter dem Steg übergreift. So entsteht zeitweise, zusammen mit den vier Saiten vor dem Steg, sogar ein achtstimmiger Zusammenklang.

Das Ertönen der letzten Langen Saite N° 22, die übrigens exakt eine Oktav tiefer als die direkt zuvor erklungene Saite ist,  führt am Cello zu einer aufsteigenden Intervallkette, deren Differenztöne der Grundfrequenz der Außensaite von 60 Hertz entsprechen. Allerdings werden diese Intervalle sehr leise gespielt, so daß deren immer gleicher Differenzton fiktiv bleibt. Die Lange Saite N° 22 tritt an dessen Stelle und “verkörpert” real diese Frequenz, womit sie akustisch endgültig in den Außenbereich lockt.

Damit beginnt die “Coda“. Der Cellist verläßt sein Instrument und begibt sich – zusammen mit den Zuhörern – nach außen, um gemeinsam mit der Saitenspielerin die verbleibenden drei längsten Saiten zu spielen.

Wird das Cellowerk zukünftig als Solowerk (ohne die temporäre Saiteninstallation) aufgeführt, so ist eine alternative “Coda” vorgesehen, die aus „untertönigen” Klängen besteht, welche mit übermäßigen Bogendruck erzeugt werden.

Michael Bach

Weiteres zur Saiteninstallation:
genius loci gehört


*)
In den 90er Jahren haben Pierre Dutilleux und ich eine Computersoftware am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZLM) in Karlsruhe entwickelt, die Differenztöne von live gespielten Tönen in Echtzeit derart erzeugt, daß kein Unterschied zu den “natürlichen” Diffrenztönen wahrnehmbar ist. Um die Schallrichtung mit Lautsprechern zu eliminieren, ist entweder eine Rundumbeschallung nötig oder eine geschickte Ausnutzung architektonischer Gegebenheiten, wie z. B. eine Kuppel.

Es zeigte sich auch, daß das Gehör erst für die Wahrnehmung der Differenztöne “geschärft” werden mußte. Denn genau genommen handelt es sich bei einem “Differenzton” wieder um ein Klanggemisch von Differenztönen, die mit den gespielten Tönen verschmelzen können. Dies rührt daher, daß jeder gespielte “Ton” eigentlich aus seinem Grundton und seinen Obertönen besteht. Diese Obertöne bilden untereinander und mit den Obertönen anderer Grundfrequenzen wiederum Differenztöne.

*

Unser Dank gilt Herrn Dr. Werner Esser, Kurator der Sammlung Domnick, und den Förderern des Projekts “genius loci gehört” / „genius loci concertante”:

KulturRegion Stuttgart
Stadt Nürtingen
LBBW Stiftung Kunst und Kultur

Flyer mit Konzert-Text -

Renate Hoffleit – Michael Bach Bachtischa, genius loci gehört

Germany

 

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Eröffnung der Saiteninstallation “genius loci gehört”                                                                                  Foto: Esser

 

Bereits im Februar, bei der ersten Begehung des Skulpturenparks, in dem das Wohn- und Ausstellungsgebäude des Ehepaars Domnick situiert ist, war uns klar, daß es eine Lange Diagonalsaite quer durch das gesamte Gelände bis hin zur hohen Pappel geben wird und daß von einer solitär stehenden Platane, inmitten des Grundstücks, sternförmig etliche Lange Saiten ausgehen werden.

Diese beiden Fixpunkte der Saiteninstallation „genius loci gehört” standen also von Anfang an fest. Verhältnismäßig rasch wurde ein Grundplan der Saiteninstallaion entworfen, der im Großen und Ganzen auch nicht mehr im Nachhinein verändert wurde.

Ich sage das deshalb, weil damit deutlich wird, daß diese von Domnick erdachte Struktur, hier die Standorte der Bäume, durchaus ihre Wirkung auf den Besucher nicht verfehlt und intuitiv erfaßt werden kann.

Allerdings bildet die Saiteninstallation „genius loci gehört” nicht die von Domnick erdachte Netzstruktur ab, denn sie folgt eigenen Gesichtspunkten, wobei sie, vor Ort entstanden, auch die „nach-Domnickschen” Veränderungen des Skulpturenparks in sich aufnimmt und reflektiert.

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Renate Hoffleit und Michael Bach spielen die Langen Saiten                                                                    Foto: Esser

 

Doch zunächst zur Gartenanlage, d. h. konkret zur vorgefundenen Anordnung der Bäume auf dem Grundstück.

 

 

Sammlung Domnick Plan Bäume Saiten 2

Lange Saiten 1-28     Bäume 1-24                   Grundstücksplan: koeber LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

 

Es fällt ins Auge, daß die solitär stehende Platane (Baum 7) in der Flucht der nördlichen Eingangsfront des Gebäudes steht und in einem Abstand von 32 Metern, der Kantenlänge dessen quadratischen Grundrisses. Zusammen mit Baum 13, dessen Position allerdings nicht 100% exakt stimmt, und der westlichen Gebäudefront wird erneut der Grundrisses des Gebäudes im Außenbereich nachgezeichnet.

Die Diagonale durch das Grundstück, welche durch eine Lange Saite repräsentiert wird, führt von einer Schwarzkiefer (Baum 10) im Nordwesten bis zu einer hohen Pappel (Baum 21) im Südosten. Diese Diagonale steht in einem 45° Winkel zum Grundriss des Gebäudes.

Hiervon ausgehend, lag es nahe, nach weiteren strukturell bedingten Baumstandorten zu suchen. Ein weiteres Quadrat der Kantenlänge von 32 Metern gibt das unregelmäßig geschnittene Grundstück nicht mehr her. Irritierend war zunächst auch, daß die Pappel (Baum 21) definitiv in einem deutlich größeren Abstand als 32 Meter zum Haus steht (ca. 36 m).

Aber, das halbe Maß von 32 Metern findet sich wiederum im Außenbereich bestätigt: So steht eine Hainbuche (Baum 11) in der gleichen Flucht wie nördliche Gebäudefront und Platane (Baum 7) in 16 Metern Abstand zur Platane. Hierzu will allerdings der Standort einer Tanne (Baum 12) wiederum nicht ganz passen, der fast um einen Meter verrückt ist.

Die große ausladende Weide (Baum 17) steht in einem etwa 8 Meter betragenden Abstand zum Haus, ebenso auch eine Birke (Baum 17). Eine Esskastanie (Baum 24) steht in der Flucht der westlichen Gebäudefront, ebenfalls in ca. 8 Metern Abstand und die beiden Bäume (Nr. 1 und 2) an der Eingangsfront des Hauses stehen sogar in einem nur ca. 4 Meter betragenden Abstand.

Diese Anhaltspunkte führten zur Überlegung, ob dem gesamten Grundstück ein Rastermaß von 4 bzw. 2 Metern zugrunde gelegt werden kann. Man erhält derart ein fiktives Grundstücksquadrat mit der Kantenlänge von 88 Metern.

Sammlung Domnick nur Bäume Saiten Raster

Man sieht, daß Domnick über seine Grundstücksgenzen „hinaus gedacht” hat. Was blieb auch anderes übrig bei dessen unregelmäßigen Zuschnitt? Sogar an der geraden Ostgrenze überschreitet das fiktive Rastermaß die Grundstücksfläche um einen Meter. Diese Tatsache und die Feststellung, daß die Bäume im südlichen Bereich (Nr. 19-23, sowie ein neugepflanzter Tulpenbaum und drei kürzlich gefällte Birken) nicht so recht oder gar nicht in das strenge Rastermaß passen wollen, verunsicherte diese „Rastertheorie” zunehmend. Das Rätsel löste sich aber auf mit der Information, daß Domnick den westlich gelegenen größeren Parkanteil erst 10 Jahre später erwerben konnte.

Das Gebäude wurde demnach in ein ursprüngliches Grundstück plaziert, das zwei parallele Grenzen in einem Abstand von 38 Metern besaß, so daß das Gebäude den amtlich vorgeschriebenen Grenzabstand von 3 Metern einhielt. Die Baumpflanzungen aus dieser Anfangszeit, Ende der 60er Jahre, entsprechen somit offensichtlich nicht dem späteren Konzept. Als Domnick Ende der 70er Jahre das zweite angrenzende Grundstück hinzugewann, wurden die neuen Bäume „nach architektonischen Gesichtspunkten”, so wie er sich in seinem Buch „Mein Weg zu den Skulpturen” *) ausdrückt, angepflanzt. Näheres dazu schreibt Domnick jedoch nicht. Aber unsere Untersuchung legt die Grundidee von Domnick nun offen. Im Zuge dieser Neupflanzungen wurden die bisher von Domnick angepflanzten Bäume stehen gelassen und nicht eliminiert oder versetzt. Dieser südlich dem Gebäude vorgelagerte Teil des Skulpturengartens unterliegt also nicht dem gleichen ordnenden Prinzip Domnicks wie der neu hinzugekommene Grundstücksteil im Westen.

 

Interessant ist, daß Domnick den Stifterstein zwischen zwei Schwarzkiefern in der Nordwestecke des Grundstücks plazierte. Dies signalisiert eine besondere Bedeutung dieses Standorts.

Domnick Stifterstein Foto Pfeile
Ottomar Domnick mit Stifterstein zwischen zwei neugepflanzten Schwarzkiefern 

Die Informationen aus Domnicks Buch sind uns im übrigen erst nach Abschluß der Planungsphase und kurz vor dem Aufbau der Saiteninstallation bekannt geworden. Sie bestätigten insofern unsere Aufdeckung des fiktiven Rastermaßes im Nachhinein.

In gewisser Weise ebenso bestätigend war eine Aussage von Herrn Köber **), der für das Gebäude ein Grundmaß von 50 x 50 cm nannte, das in der Pflasterung im Außenbereich mit Bodenplatten dieser Größe ebenso eingehalten wurde. Dieses Maß ist sozusagen die Umkehrung von 2, nämlich ½. Auch findet sich das Maß ¼ (25 cm), beispielsweise in der Breite der Betonbalken, die aus dem Gebäude ragen.

Für die Standorte der Bäume kann ein Grundmaß von 50 cm, heute nach mehr als 35 Jahren, aber nicht mehr angenommen werden, denn dieses Maß liegt im Unschärfebereich des noch Bestimmbaren. Die hohe Pappel (Baum 21) hat beispielsweise einen Stammdurchmesser am Erdboden von mehr als einem Meter, der aber sehr unregelmäßig ist und etliche Wurzelausläufer oberirdisch aufweist, so daß ihr Mittelpunkt, also ihre ursprüngliche Pflanzposition, nur durch eine Fällung feststellbar wäre.

Oder beispielsweise die Platane (Baum 7): Sie neigt sich sehr stark in Richtung Gebäude, so daß ihr Standpunkt, der etwas mehr als 32 Meter zum Gebäude hin beträgt, durch ihre Wuchsform wieder, auf natürliche Weise, „korrigiert” wird. Hier übrigens findet sich bei der Saiteninstallation das Maß 50 x 50 cm ein einziges Mal im quadratischen Kranz der Resonatoren wieder, der den Stammdurchmesser von fast 50 cm umgibt.

Interessant ist das initiierte Zusammentreffen von einem strengen geometrischen Rasterprinzip mit Einwirkungen der Naturkräfte und organischen Wuchsformen, die eine kontinuierliche Veränderung im Zeitverlauf hervorrufen. Solche Konzepte gab es in der Bildenden Kunst der 60er Jahre. Es bewirkt so etwas wie einen „gesteuerten Zufall”.

 

Zurück zur Baumgeometrie: An der einen Schwarzkiefer (Baum 10) neben dem Stifterstein endet die Lange Diagonalsaite (Nr. 1). Die andere Schwarzkiefer, die in einer Linie mit den Bäumen 10 und 11 steht, ist erst kürzlich gefällt worden. Zieht man eine Parallele zur Langen Diagonalsaite, nun beginnend am Standort dieser zweiten, heute nicht mehr existierenden Schwarzkiefer, so tangiert diese Linie die Gebäudeecke und bildet die eigentliche Diagonale des fiktiv angenommen Grundstücksquadrats der Kantenlänge von 88 Metern. Diese Diagonale hat an der Südostecke keinen Baum als Endpunkt, da neben der damals (Ende der 70er Jahre) inzwischen 10 Jahre alten Pappel (Baum 21) kein weiterer Baum mehr Platz gefunden hätte. Hingegen steht die Pappel am Kreuzungspunkt der Langen Diagonalsaite mit dem Rand des fiktiven Grundstücksquadrats. Dies ist zwar zufällig, da Domnick die Pappel, wie oben erklärt, ohne sein Rasterkonzept anpflanzte, es ist jedoch nicht auszuschließen, daß ihre Existenz umgekehrt den Standort der einen Schwarzkiefer (Baum 10) gemäß der hier dargelegten Struktur bestimmte.

Der Stifterstein zwischen den beiden Schwarzkiefern mit den Namen „O. und G. Domnick” ist heute wegen des Fehlens eines Zwillingbaums, der zweiten Schwarzkiefer, „verwaist”.

Stifterstein Schwarzkiefer

 

Wir empfehlen deshalb die Neupflanzung dieses komplementären „Stifterbaums”. Hingegen sind wir dankbar, daß die drei Birken im Süden des Hauses gerade erst gefällt werden mußten. Denn dies ist eine unverzichtbare Voraussetzung, daß die Lange Diagonalsaite überhaupt gespannt werden konnte.

Wenn es eine Grundstücksdiagonale gibt, dann existiert auch eine zweite. Diese zweite Diagonallinie kreuzt genau an dem Punkt die erste, wo die stattliche Weide (Baum 16) steht. Sie steht also genau in der Mitte des fiktiven Grundstückquadrats. An ihr ist eine weitere Lange Saite (Nr. 2) befestigt, die zur Schwarzkiefer (Baum 10) reicht und so eine Verbindung zur Langen Diagonalsaite herstellt.

Diese beiden Langen Saiten (Nr. 1 und 2) bilden einen Winkel von 4°. Bedenkt man, daß der 90° Winkel aufgrund des Rastermaßes eine dominierende Rolle spielt, so „schließt sich der Kreis” mit dem 4° Winkel, denn 4 x 90° oder 90 x 4° ergeben 360°.

Für manche mag diese Relation als „von weit hergeholt” erscheinen. Sicher hat Domnick diesen spitzen Winkel an der Schwarzkiefer (Baum 10), den die Weide (Baum 16) und die Pappel (Baum 21) einschließen, nicht im Auge gehabt. Die Erfahrung jedoch, daß dem geübten Blick selbst noch komplexere Raumproportionen nicht verborgen bleiben und erfaßbar sind, wird bei unserer künstlerischen Arbeit regelmäßig bestätigt. Der 4° Winkel war einer der Gründe, diese Lange Saite von der Weide nicht zur zentralen Platane sondern, an ihr vorbei, zur Schwarzkiefer zu führen.

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Michael Bach die Lange Diagonalsaite spielend                                                                                             Foto: Esser

 

Womit wir bei der Struktur der Saiteninstallation angelangt sind.

Sammlung Domnick nur Saiten Bäume

 

Die Langen Saiten thematisieren, kurz ausgedrückt, Relationen 2. Grades. Die Netzstruktur Domnicks zu verspannen, würde die Beziehungen ersten Grades abbilden. Damit würden theoretisch immer gleiche Längen produziert werden, Vielfache auf der Basis von 2, also Längen von 4, 8, 16 und 32 Metern. Diese theoretischen Maße würden mehr oder weniger stark abgeändert werden durch die leicht verschobenen Standorte der Bäume und deren irregulären Durchmessern, denn die Saiten können ja nicht von Mittelpunkt zu Mittelpunkt der Bäume reichen.

Die Relationen 2. Grades sind die „schrägen” Beziehungen, die Diagonalen. Diesen Diagonalen folgen die Langen Saiten, mit Ausnahme der Saiten 8, 10 und in etwa 14 (ungenauer Standort der Neupflanzung Zürgelbaum, Baum 18).

Die Saiteninstallation kann in drei Sektoren eingeteilt werden, den sogenannten STERN mit der Platane als Zentralbaum, den PFEIL mit der Pappel als Spitze und den FÄCHER, der an einer Stelle des Gebäude ansetzt, wo es sich nach außen hin öffnet. Dies wird auch der zentrale Ort des Konzerts am 20. September sein.

Sammlung Domnick STERN PFEIL FÄCHER

 

Die längste Saite (Nr. 2) des STERN verbindet den zentralen Baum des „fiktiven Grundstückquadrats”, die Weide (Baum 16), mit dem einen Endpunkt der Langen Diagonalsaite, der Schwarzkiefer (Baum 10). Diese Saite steht, wie bereits erwähnt, in einem 4° Grad Winkel zur Langen Diagonalsaite.

Die längste Saite (Nr. 16) des PFEIL steht in einem 30° Grad Winkel und die längste Saite (Nr. 22) des FÄCHER in einem 60° Grad Winkel zur südlichen Gebäudefront.

Die längste Saite der gesamten Saiteninstallation, die Lange Diagonalsaite (Nr. 1) verbindet STERN, PFEIL und FÄCHER miteinander und weist einen 45° Grad Winkel zum Gebäude auf. Daraus reultiert, daß die beiden längsten Saiten des PFEIL und FÄCHER, die ebenfalls an der Pappel enden jeweils einen 15° Grad Winkel zur Langen Diagonalsaite bilden.

Die längsten 4 Saiten bilden demnach untereinander und mit dem Gebäude die Winkel von 4°, 15°, 30°, 45° und 60°, die den 360° Winkel in die Faktoren 90, 24, 12, 8 und 4 teilen.

Wie eingangs erwähnt, stand das Konzept, die Struktur der Saiteninstallation „genius loci gehört” von Anbeginn fest. Kleine Veränderungen ergaben sich meist vor Ort, da ausschließlich Pläne und Fotos für die Konzeption einer Saiteninstallation nie ausreichen. Zu bedenken ist gleichfalls, daß sich die Gestalt der unterschiedlichsten Baumarten, ihre Äste und Blätter in der Wachstumsphase von Frühjahr bis zur Sonnenwende im Sommer, am 22. Juni war die Eröffnung von „genius loci gehört“, stark verändern kann.

Hinzu kommt die Geländeformation. Selbst wenn der Plan auch Höhenkoten enthält, so war bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Installation der Langen Diagonalsaite immer noch offen, ob dies gelingen würde: Denn die ca. 115 m lange Saite ist an einem sehr schwierigen Ort befestigt, nämlich an der Pappel (Baum 21) auf stark abschüssigem Gelände, an einem Resonator in 5 Metern Höhe. Sie mußte sodann durch die dichte Krone eines Eisenholzbaums (Baum 20), der von der Gestalt eher einem Busch gleicht, hindurchgeflochten werden, wobei die exakte Flucht zur ca. 100 Meter entfernten Schwarzkiefer (Baum 10) eingehalten werden mußte. Insbesondere die Höhe der Saite war äußerst schwer abschätzbar. Auf ihrem weiteren Weg, war der nächste kritische Punkt für die Lange Diagonalsaite eine Anhebung des Geländes, so daß ihr Abstand zum Boden nur noch ca. 50 cm beträgt. Danach passiert die Diagonalsaite herabhängende Girlanden der prachtvollen Weide und berührt anschließend fast einige Äste einer Linde. Ein weit ausladender Ast der 30-jährigen Platane (Baum 7) ist inzwischen so hoch, daß er sich knapp über der Langen Diagonalsaite befindet. An ihrem zweiten Endpunkt erreicht die Lange Diagonalsaite schließlich die Schwarzkiefer, wo der Resonator nochmals genau höhenmäßig ausgerichtet werden mußte, und zwar so, daß zusätzlich die Lange Saite (Nr. 2) zur Weide möglich war.

Während alle Saiten des STERN gemäß dem ursprünglichen Konzept gespannt werden konnten, gab es geringfügige Modifikationen beim PFEIL und FÄCHER, da dieser Teil des Skulpturenparks nicht dem Rasterprinzip der Baumstandorte gehorcht. Es ist verblüffend, wie dieses Fehlen einer Standortstruktur der Bäume sich sogleich auswirkt auf die Verspannung ihrer Verbindungslinien.

So wurde auf die Einbeziehung einer mächtigen Vogelkirsche (Baum 19a), die am Rande des Geländes steht, verzichtet und stattdessen ein Tulpenbaum (Baum 19) berücksichtigt. Somit entfiel auch die Lange Saite von der Vogelkirsche zur Pappel, die durch die Lange Saite (Nr. 16) vom Zürgelbaum (Baum 18) zur Pappel ersetzt wurde.

Die Lange Saite vom Zürgelbaum zum Haus konnte nicht gespannt werden, da ein undurchdringlicher Busch ihr im Weg steht. Stattdessen konnten gleich 5 Lange Saiten von der Esskastanie (Baum 24) zum Haus installiert werden. Dies konnte nur vor Ort entschieden werden, da die Esskastanie eine ungewöhnliche Wuchsform hat, die auf keinem Plan erkennbar wäre. Erwarten würde man einen Hochstämmer, stattdessen beginnt ihre Krone direkt über dem Erdboden, so daß 5 starke Äste die Möglichkeit bieten, 5 verschieden Lange Saiten zum Haus zu spannen.

Dies führt uns nun zum akustischen Aspekt der Saiteninstallation „genius loci gehört“, denn diese 5 Langen Saiten haben mikrotonal unterschiedliche hohe Frequenzen, was letztendlich den Ausschlag gab für diese Entscheidung.

Doch dazu im nächsten blog-Beitrag mehr:
genius loci concertante

 

Michael Bach 

 

Unser Dank gilt Herrn Dr. Werner Esser, Kurator der Sammlung Domnick, und den Förderern des Projekts “genius loci gehört“:

KulturRegion Stuttgart
Stadt Nürtingen
LBBW Stiftung Kunst und Kultur 


 

*) Ottomar Domnick, “Mein Weg zu den Skulpturen“, domnick verlag + film, stuttgart 1987
    Seite 76

**) koeber LANDSCHAFTSARCHITEKTUR, Plan, Stand: 2005

 

Flyer 4, 150 dpi